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Kastration beim Hund (Teil 4) – Frühkastration

14.04.2021

Über 10 Millionen Hunde leben in deutschen Haushalten. Eine Frage haben all diese Hundehalter und Hundehalterinnen gemein: „Soll ich meinen Hund kastrieren lassen?“. Die Kastration beim Hund ist ein Thema das jeden Hundemenschen angeht – sprechen wir also drüber! Dieser Artikel ist der vierte Teil unser Reihe zum Thema Kastration. Er setzt sich mit den Auswirkungen einer Frühkastration beim Hund auseinander und nimmt unter die Lupe, was während der Pubertät im Hundekörper passiert.

Kastration beim Hund (Teil 4) – Frühkastration

Die Kastration beim Hund wird in der Welt der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Wirft man jedoch einen Blick auf die Hundewelt außerhalb der Forschungsliteratur, scheint es sowohl in sozialen Medien, Blogs, Foren als auch auf dem Hundeplatz, viele eindeutige Meinungen zu geben. Dabei rückt die Frage nach nach dem optimalen Zeitpunkt der Kastration nicht selten in den Vordergrund und auch das Thema Frühkastration fällt dabei nicht selten.

Mehr über die Gründe einer Kastration findest du in Teil 1, Teil 2 und Teil 3 der Kastrationsreihe. In diesem Teil werde ich dem Zeitpunkt mehr Aufmerksamkeit schenken und das Thema Frühkastration unter die Lupe nehmen.

Was versteht man unter Frühkastration?

Als Frühkastration bezeichnet man in der Regel jede Kastration, die vor dem Erreichen der Geschlechtsreife vorgenommen wird. Bei der Hündin wäre dies der Zeitraum vor der ersten Läufigkeit. Beim Rüden der gleichen Rasse kann man sich in etwa am selben Zeitraum orientieren. Hunde die vor ihrer Geschlechtsreife kastriert werden durchlaufen also die Pubertät im gleichen Maße wie ihre intakten Artgenossen. Um die Auswirkungen einer Frühkastration verstehen zu können, ist es daher sehr wichtig einen Blick auf Veränderungsprozesse rund um die Pubertät zu werfen.

Die Pubertät beim Hund

Unter der Pubertät versteht man die Entwicklungsphase der Säugetiere und des Menschen, die zur Geschlechtsreife führt. Die Pubertät bei der Hündin beginnt mit ihrem ersten Öströgen anstieg, also mit ihrer ersten Läufigkeit. Bei Rüden ist der Zeitpunkt nicht ganz so einfach festzulegen. Anzeichen für den Beginn der Pubertät können zum Beispiel sein, dass der Rüde beginnt beim Markieren sein Beinchen zu heben und generell etwas „rüpelhafter“ auftritt. Man kann sich hierbei auch am Zeitpunkt des Beginns der Pubertät bei Hündinnen der selben Rasse orientieren.

Der Beginn der Pubertät wird weitestgehend genetisch gesteuert. Dabei spielen sogenannte Pubertätsgene eine besondere Rolle. Die Gene werden abgelesen und sorgen für einen Anstieg der Sexualhormone beziehungsweise für einen Anstieg der vorgeschalteten Hormone, zum Beispiel GnRH. Der Ablesevorgang der Pubertätsgene kann durch äußere Faktoren beeinflusst werden. So kann zum Beispiel eine zu energiereiche Fütterung den Eintritt in die Pubertät beschleunigen, während zu viel Stress den Eintritt verzögern kann. Durch die Aktivierung der Pubertätsgene und den Anstieg der Sexualhormone wird auch die Schilddrüse aktiv. Das Schilddrüsenhormon Thyroxin und Wachstumshormone sowie weitere für das Wachstum wichtige Faktoren, zum Beispiel der Nervenwachstumsfaktor, werden verstärkt produziert.

Auch wenn Rüde und Hündin mit der Pubertät zur Fortpflanzung fähig werden, ist dies nicht damit gleichzusetzen, dass ihre körperliche und geistige Entwicklung bereits vollständig abgeschlossen ist.

Auswirkungen einer Frühkastration auf den Körper des Hundes

Die Pubertät geht mit weitreichenden Veränderungen des Hundekörpers einher. Hormone und Wachstumsfaktoren setzen eine ganze Reihe an grundlegenden physiologischen Prozessen in Gang. Eine Frühkastration hat auf die Entwicklung des Hundekörpers einen entsprechend großen Einfluss. Als nächstes werde ich daher an ein paar Beispielen aufzeigen welche Folgen eine Frühkastration auf die Entwicklung des Hundekörpers haben kann.

Skelett und Muskulatur

Die nun produzierten Hormone haben weitreichende Auswirkungen auf den gesamten Körper wie zum Beispiel auf das Längenwachstum der Röhrenknochen. Durch das Wirken der Hormone wird hier die sogenannte Wachstumsfuge geschlossen. Die Wachstumsfuge ist eine weiche knorpelige Fuge kurz vor dem Gelenkstück des jeweiligen Knochen die zum Beenden des Längenwachstums endgültig verknöchern muss. So lange die Wachstumsfuge geöffnet bleibt, kann der Knochen immer weiter in die Länge wachsen. Gleichzeitig wird sowohl der Muskelaufbau als auch Bänder und Sehnen verstärkt, was zu veränderten Drehmomenten und Drehverhältnissen an den Gelenken führt.

Eine Kastration vor der Pubertät kann zu einem verstärkten Längenwachstum der Röhrenknochen führen. Darüber hinaus können zum Zeitpunkt der Kastration manche Wachstumsfugen bereits geschlossen sein, während andere noch geöffnet sind, so dass manche Knochen normal ausgebildet sind während andere überproportional lang wachsen. Dies kann Probleme im Bereich der Gelenke begünstigen. So ist es keine Überraschung, dass kastrierte Hunde häufiger von Gelenkserkrankungen betroffen sind. Dies zeigt sich insbesondere bei Rassen, die eine erbliche Veranlagung haben für bestimmte Gelenkserkrankungen haben. (z.B. Hüfte oder Knie). Auch Kreuzbandrisse sind bei kastrierten Hunden signifikant häufiger zu beobachten als bei intakten Hunden.

Herz-Kreislauf-System

Die Wachstumshormone spielen auch für die Entwicklung des Herz-Kreislauf-Systems, zum Beispiel für die Vergrößerung und Verstärkung des Herzens, eine entscheidende Rolle. Bei frühkastrierten Hunden kann es dazu kommen, dass die Größe von Körper und Herz nicht zueinander passt – das Herz kann für die Körpergröße des Hunde zu klein oder auch zu schwach sein. So kann es bei frühkastrierten Hunden vermehrt zum Auftreten von Herzschwächen und Kreislaufproblemen kommen.

Gehirn

Während der Pubertät macht das Gehirn eine ganz gewaltige Entwicklung. Durch verschiedene Faktoren wie das Ablesen von Genen, das Wirken der Hormone oder anderer Peptide, erfährt das Gehirn zahlreiche Umbau-, Aufbau-, und Abbauprozesse. Unter anderem wächst während der Pubertät die Umhüllung unserer Nervenfasern, die sogenannte Myelinschicht, weiter. Vielleicht hast du dich schon einmal gefragt, warum die Gehversuche von Kleinkindern so unkoordiniert aussehen, wir Erwachsene aber ohne zu Schwanken geradeaus laufen können. Ein Grund dafür ist die Ausbildung der Myelinschicht. Sie sorgt für eine bessere Abgrenzung zu anderen Nervenfasern und so zu eindeutigen Reizweiterleitungen im Gehirn. Die Information in Form von elektrischen Impulsen wird besser in der Nervenfaser gehalten und es kann zu einer reibungslosen Informationsweitergabe kommen. Das Myelin erhöht auch die Schnelligkeit der elektrischen Impulse der einzelnen Nervenzellen und somit die Reizweiterleitung im Gehirn. Dies ist ein wichtiger Faktor wenn es z.B. um Lern- und Denkprozesse geht. Darüber hinaus werden unnötige Umwege und Nebenwege im Gehirn abgebaut. Das klingt erst einmal nicht so gut, aber wenn es weniger Umwege bei der Reizverarbeitung gibt, gelangt die Information schneller und effektiver ans Ziel. Die Reduktion von Nervenzellen während der Pubertät ist also ein wichtiger Schritt hin zum Erwachsen werden. Zusätzlich nimmt die Empfindlichkeit für Nervenimpulse in manchen Bereichen des Gehirns zu, während sie in anderen Bereichen abnimmt. Ein Beispiel einer solchen Umgestaltung ist die Hirnrinde, genauer, das Stirnhirn. Dieser Bereich wird mit Sozialverhalten und sozialen Kompetenzen in Verbindung gebracht. Während durch die Entwicklung mittels Sexualhormonen die Empfindlichkeit in diesem Hirnbereich steigt, wird die Empfindlichkeit im emotionalen Bereich des Gehirns, des limbischen Systems verringert. Resultat dieser Umbauprozesse ist also, das bei gleicher Anwesenheit von Botenstoffen, mehr rationale als emotionale Entscheidungen getroffen werden können – ein ganz entscheidender Prozess für das Zusammenleben mit Artgenossen.

In den letzten Jahren hat die Forschung neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Kastration beim Hund erbracht. Wenn auch in der Forschung die Verhaltensveränderung des Hundes eher eine untergeordnete Rolle spielt, so gibt es Ergebnisse über die gesundheitlichen Folgen. Das Fehlen der Sexualhormone während der Entwicklung des Hundes hat Auswirkungen auf die Tumorentstehung, die Entwicklung des Bewegungsapparates und auf das Immunsystem. Der Grad der Nebenwirkungen variiert dabei sowohl beim Geschlecht des Hundes als auch bei der Rasse. So gilt zum Beispiel laut einer Studie von Dorn und Seath aus dem Jahr 2018 eine Kastration bei Dackeln als Risikofaktor für einen Bandscheibenvorfall.

Fazit – mögliche Auswirkungen nicht aus den Augen verlieren!

Eine Frühkastration, vor Eintritt der Pubertät des Hundes, unterbricht oder verhindert natürliche Entwicklungsprozesse im Körper des Hundes. Dies hat nachhaltige Auswirkung auf physische und psychische Gegebenheiten und kann sich sowohl für die Gesundheit der Tiere als auch auf das Zusammenleben mit Artgenossen und Menschen drastische Auswirkungen haben.

Mehr Infos rund um die Kastration beim Hund findest du in folgenden Artikeln:

Jennifer Schmitz

Jennifer Schmitz

Jenny ist Biologin und widmet sich in der AG Mammalia der Verhaltensbiologie des Hundes. Ihren M.Sc. schloss sie mit einer Arbeit zum Thema „Kastration und Verhalten beim Hund“ ab. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit ist sie als Hundetrainerin tätig.

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